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Quo Vadis Vergaberecht – Tendercontrolling von Rabattverträgen und Vertragsstrafen

Gerade ein halbes Jahr ist vergangen, seit im April 2016 das neue GWB-Vergaberecht in deutsches Recht umgesetzt wurde und seither galt es für die Bieter, den grundlegend reformierten Rechtsrahmen in ihre Angebotsabläufe zu integrieren. Doch wer sich danach erleichtert zurücklehnen wollte, wird sich heute verwundert die Augen reiben und feststellen: Das Bundeswirtschaftsministerium diskutiert bereits über weitere Neuerungen im Vergaberecht und zwar dieses Mal für Aufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte. Angesichts der Tatsache, dass rund 87% der öffentlichen Aufträge in Deutschland diese Grenze nicht überschreiten, zeigt sich die neuerliche Debatte über Vergaberichtlinien als besonders brisant. Betroffen sind beispielsweise Wirkstoffaufträge für die medizinische Versorgung im Justizvollzug, medizinische Dienstleistungsaufträge im Rahmen von Modellvorhaben oder integrierter Versorgung, für die schon im April diesen Jahres der Sonderschwellenwert von 750.000 EUR festgelegt wurde. Wird dieser Wert überschritten, verlangt das neue SGB V weitestgehend die Anwendung des vereinfachten, aber immer noch formalisierten Vergaberechts für medizinische Dienstleistungen nach GWB 2015.

Seit dem Open-House-Urteil des Europäischen Gerichtshofes im Juni 2016, welches für pharmazeutische Hersteller vergabeähnliche Beteiligungsbedingungen vorsieht, herrscht zufriedene Betriebsamkeit bei allen Beteiligten. Besteht denn nun kein Interesse mehr an fairem Rabattwettbewerb?

Seit Juni gehen bei den Vergabekammern die ersten Nachprüfungsanträge zum neuen Vergaberecht ein und es fällt auf: Weniger die eigentlichen Neuerungen bereiten hier Probleme, als vielmehr die immer schon sensiblen Weichenstellungen im Vergabeverfahren. Nach wie vor bieten unklare und mehrdeutig formulierte Zuschlagskriterien unzählige Fehlerquellen und somit reichlich Arbeit für die deutschen Nachprüfungsinstanzen und den Europäischen Gerichtshof.

Diesen und anderen aktuellen Themen widmeten die inhabergeführten Unternehmen PSE – Pharma Solutions Europe und 1stLine e.K. in Kooperation eine Fachtagung am 28. September 2016: Mehr als 40 Vertreter der pharmazeutischen Industrie folgten der Einladung der etablierten Unternehmen, um sich ein Bild von den derzeitigen Turbulenzen im Vergaberecht zu machen. Den Rahmen für die Veranstaltung bot das Mövenpick Hotel Stuttgart Airport & Messe. Rechtsanwalt Dr. Alexander Hübner, Partner der Sozietät Haver & Mailänder (Stuttgart/Brüssel), stellte die aktuellen Rechtsentwicklungen vor. Der Wirtschaftsjurist, ein “Mann der ersten Stunde” des seit 1998 geltenden GWB-Vergaberechts mit Beratungsschwerpunkten in komplexen europaweiten Vergabeverfahren, bewertete sowohl das Tempo, als auch die Intensität der Neuerungen kritisch und stellte ernüchtert fest: “Die Beteiligten an Vergabeverfahren drohen inmitten der Umstellung auf das GWB 2016 an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit zu gelangen – diesseits oder jenseits -, da die Kassen nun neue, bisher ungenutzte Möglichkeiten der vergabefreien Direktbeauftragung erproben. Nebenbei wird das SBG V-Vergaberecht sukzessive nachgebessert, was die Rechtslage für Bieter kaum übersichtlicher macht. Und: Widersprüchliche Entscheidungen der Nachprüfungsinstanzen zu wirklich grundlegenden Fragen, wie etwa der Gestaltung von Zuschlagskriterien, nehmen kein Ende.”, so das Fazit des Wirtschaftsjuristen Dr. Hübner.

Viele pharmazeutische Unternehmer mussten bereits die Erfahrung machen, dass die Reaktionszeit zum Zeitpunkt der Publikation einer Ausschreibung oftmals bereits zu kurz ist, um eine fristgerechte Belieferung des Tenders im Zuschlagsfall garantieren zu können. Gemäß einer Analyse von PSE vergehen im Median knapp sechs Monate zwischen dem Zeitpunkt der Bekanntmachung einer Ausschreibung im europäischen Amtsblatt und dem Vertragsstart. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Produktionsplanungszyklus der pharmazeutischen Industrie bei sechs Monaten liegt, wird deutlich, dass potentielle Lieferausfälle von vornherein in der Planung berücksichtigt werden müssen. In einer Pressemitteilung des Bundesverbandes der pharmazeutischen Industrie vom 13.07.2016 betont der Vorstandsvorsitzende Dr. Martin Zentgraf die Notwendigkeit einer “mindestens sechsmonatigen Frist zwischen Zuschlag und Lieferverpflichtung”. Das Risiko eines partiellen Lieferausfalls ist real. Daher stellt sich für den pharmazeutischen Bieter häufig die Frage nach einer Risikoeinschätzung, sowie insbesondere nach der Höhe einer potentiellen Vertragsstrafe bei möglichen Lieferausfällen.

Die Höhe einer potentiellen Vertragsstrafe ist von verschiedenen Faktoren abhängig: Sowohl die Vertragsgestaltung der ausschreibenden Stelle, die ausgeschriebene Menge (der Beschaffungsbedarf), die tatsächliche Absatzmenge, als auch die Länge der Ausfallzeit haben Einfluss auf die letztendliche Höhe der Vertragsstrafe. Mit Hilfe des PSE-Schadensersatz-Szenariorechners lässt sich der potentielle Schadensersatz schnell im Szenario-Trichter als Mindest-, Mittel- oder Maximalwert ermitteln. Diese Berechnung fällt für jede ausschreibende Stelle unterschiedlich aus; zumal die Bezugsgrößen rechnerisch eine völlig differente Handhabung verlangen. Dipl. Ing. (FH) Dirk Lothar Hantz, Senior Business Analyst bei PSE führte in seinem Vortrag aus, wie die oben genannten Faktoren rechnerisch berücksichtigt werden können. Dabei spielt es eine wichtige Rolle, ob sich ein Lieferausfall zu Vertragsbeginn oder erst während des laufenden Vertrages ereignet, um Grenzen wie reguläre Vertragsstrafen, Mindest- und Höchststrafen zu unterschieden. Die Vorteile des Szenariorechners liegen auf der Hand: Er ermöglicht die schnelle Ermittlung potentieller Vertragsstrafen, Annahmen in mengenabhängigen Bandbreiten, sowie die Erzeugung verschiedenster Ansichten (Ausfallzeit, Kalendertag, Monat, Jahr, Gesamtlaufzeit). Auf diese Weise können Bieter potentielle Vertragsstrafen mehrerer ausschreibender Stellen auf einen Blick vergleichen und die passende Ausschreibung auswählen. Da PSE den Schadensersatz-Szenariorechner laufend Aktualisierungen unterzieht, können die Ergebnisse zeitnah vom pharmazeutischen Bieter selbst erzeugt und abgerufen werden, um die Entscheidung für oder gegen eine Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen fundiert treffen zu können.

Es bleibt zu hoffen, dass die ausschreibenden Stellen der Krankenkassen künftig branchenorientierter agieren. Dies würde bedeuten, dass der zeitliche Vorlauf vom Zeitpunkt der Publikation bis zum Vertragsstart deutlich länger als sechs Monate gestaltet wird, wobei ein Zeitraum von neun Monaten ideal wäre. Diese Verlängerung würde Bieter und ausschreibende Stellen gleichermaßen entlasten.

Ingo Hüser, Inhaber des auf die Pharmabranche spezialisierten Business Intelligence-Anbieters 1stLine e.K., präsentierte Lösungen, mit deren Hilfe sich Vertragsbeziehungen komfortabel auswerten lassen. Seit Kurzem können auf diese Weise sogar automatisiert Rückstellungen gebildet und Deckungsbeiträge ermittelt werden. “Um mit der neuen Zeitknappheit umgehen zu können, ist effektives Tender-Management notwendig, – ohne zeitraubende Routine- und Nebentätigkeiten.”, so Hüser. “Professionelle Lösungen sind daher für den Bereich des Controlling unverzichtbar. Denn mit der Beschleunigung der Vergabeverfahren, werden sich auch die Zeiträume für Entscheidungsprozesse auf Managementebene erheblich verkürzen.” Insgesamt zeigte sich 2016 bereits als turbulentes Jahr für das Vergaberecht und auch 2017 verspricht kaum Besserung. Angesichts der permanenten Neuerungen ist für pharmazeutische Bieter auch in Zukunft ein erfahrener Partner am Markt unerlässlich.

Zur Pressemitteilung

RA Dr. Alexander Hübner von Haver & Mailänder – Brüssel, Stgt. referiert zum Thema “Quo Vadis Vergaberecht” vor mehr als 40 Teilnehemrn der pharmazeutischen Industrie. Quo Vadis Vergaberecht – Tendercontrolling von Rabattverträgen und Vertragsstrafen.
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